Wer faul sein will, muss auch schlau sein.
Oder: Auf der Suche nach dem verlorenen Vokabular.
Wie ich (faul) geworden bin
(von Andrea)
Rückblickend hat mich mein Lateinunterricht am Gymnasium stark geprägt. Denken Sie jetzt bitte nicht, das wäre die Erklärung für ein diagnostiziertes, psychisches Schülerleiden.
Nein, viel mehr hat er meine sprachliche Basis geschaffen. Das Lateinlernen hat mir geholfen Grammatik zu verstehen, das System einer Sprache zu erkennen: Was sind Konjugationen, Deklinationen, Tempi und Modi. Zugegeben, der Weg zu dieser Erkenntnis war steinig. Denn wie wir alle wissen: Latein ist tot. Man spricht es nicht. (Zumindest nicht in meinem Umfeld, jedem seine Hobbies). Während die andere Hälfte unserer Klasse bald fröhlich Sätze à la „Salut, je m’apelle Julia“ etc. trällern konnte, bezeichneten wir unsere Klassenkameraden eben durch asinus/a est als Esel – cool war was anderes.
Wie also eine Sprache lernen, die man gar nicht aktiv anwendet?
Genau: Pauken, pauken, pauken. Grammatikformen, Übersetzen und jede Stunde ein Vokabeltest. Im Alter von zwölf bis siebzehn habe ich also eine Menge Vokabeln gelernt. Dies zu meist im Schnellverfahren: Alles ins Kurzzeitgedächtnis und während des Tests sozusagen über Hand und Stift direkt aufs Papier und aus dem Kopf. Salopp gesagt habe ich mir die Vokabeln wirklich „reingehämmert“. Ihnen schwant wahrscheinlich schon, worauf ich hinaus will: Ich hasse Vokabeln lernen. Ich will es nicht mehr. Für mich gibt es nichts Schlimmeres als am Ende eines Kursbuchs nach Lektionen sortierte Vokabellisten zu sehen. Zu oft habe ich zu viele Hälften davon abgedeckt und mich innerlich abgefragt.
Geprägt hat mich aber nicht nur der Unterricht, sondern auch meine Lateinlehrerin. Die hat nämlich immer gesagt: „Wer faul sein will, muss auch schlau sein.“
Bald habe ich gemerkt, dass mir eine richtige Vokabel nicht viel nutzt, wenn ich die Grammatik nicht verstehe und sie nicht in den richtigen Zusammenhang setzen kann. Fortan habe ich Sprachen nach folgendem Credo gelernt: Verstehe die Grammatik, erkenne das System, Vokabeln kann man zur Not nachschlagen.
Der Sinneswandel
Als ich mich dann wieder den lebenden Sprachen zugewandt habe, habe ich Vokabeln irgendwie nebenbei gelernt. Wenn man etwas Bestimmtes sagen wollte und immer wieder über dieselbe Vokabellücke stolperte, hat man das Wort erst einmal, dann vielleicht noch ein zweites und drittes Mal nachgeschlagen und dann hat man es doch verinnerlicht.
Italienische Vokabeln habe ich auch in der konkreten Anwendung gelernt: Sprechen, sprechen, sprechen.
Allerdings merke ich mittlerweile, dass ich an meine Grenzen stoße. Mein Niveau ist relativ hoch, aber mein Wortschatz ist nicht sehr variabel, etwas begrenzt und nicht sehr elegant.
Das bedaure ich, weshalb ich mir die Frage stelle, wie ich denn wohl am besten Vokabeln lernen kann – obwohl ich das doch nie wieder wollte.
Vokabeln lernen die zweite
Bis zur Uni bin ich mit meiner faulen Art noch ganz gut durchgekommen. Wenn man allerdings in einer Übersetzungsklausur jedes zweite Wort nachschlagen muss, könnte es knapp mit der Zeit werden. Also musste ich notgedrungen wieder lernen. Folgende Methoden haben sich dabei herauskristallisiert:
Das ständige Wiederholen.
Am Anfang war das Wort – und zwar die herausgeschriebene Vokabel. Bevor man wiederholen kann, muss man schon ein bisschen Ehrgeiz und Fleiß beweisen und die unbekannten Wörter notieren und die passende Übersetzung heraussuchen.
An der Uni habe ich den Karteikasten für mich entdeckt. Ein länglicher Kasten mit mehreren Fächern für kleine Karteikarten. Auf jede Karte habe ich eine Vokabel geschrieben und im vordersten Fach einsortiert. Alle richtig beantworteten Vokabeln wurden ein Fach weiter hinten einsortiert, so dass man nach einigen Durchgängen einen guten Überblick über jene Vokabeln hatte, die „saßen“ und jene, die offensichtlich besondere Gedächtnisstützen brauchten.
Die gesammelten Schätze waren allesamt Vokabeln, die in den Übersetzungsübungen typischer Weise vorkamen. Was zum Wiederholen führt und gleichzeitig zur nächsten Lernmethode:
Das konkrete Anwenden
Bald hatte ich mir also einen durchaus passablen Wortschatz angeeignet, weil ich in meinen Kursen immer mit den gleichen Vokabeln konfrontiert war und die Sprache in einem bestimmten Themenfeld anwenden musste.
Ein weiterer Schritt des effektiven Vokabellernens ist die konkrete Anwendung im Gesprochenen. Sich so oft wie möglich in Italienisch ausdrücken zu müssen, hilft ungemein bei einem quasi beiläufigen Memorieren von Vokabeln. Wenn ich in die Apotheke gehe, nach pillole frage und pasticce bekomme, dann habe ich einen konkreten Bezug zu diesem Wort. Ich verbinde es mit einer Aktion und ich sehe das Bild, welches es beschreibt. Wobei wir da schon zu einem weiteren wichtigen Punkt kommen:
Das Visualisieren
Ich persönlich muss konkrete Bilder vor Augen haben, um ein Wort in Bezug setzen zu können. Eine Hilfe wäre es, sich alltägliche Gegenstände mit den entsprechenden Begriffen der zu erlernenden Sprache zu versehen. Kennen Sie zum Beispiel das „Lern-WC“ in unserem Verein? Das ist ein sehr gutes Beispiel für die Visualisierung von Begriffen.
Gleichzeitig muss ich neue Wörter, die ich höre geschrieben sehen. Allein durchs Hören bleiben mir die wenigsten Vokabeln im Gedächtnis. Wenn ich den Wortstamm sehe und davon eine Ableitung der Bedeutung vornehmen kann, kann ich sie mir besser merken.
Eine gute Methode ist hier auch das Fernsehen, da die Bilder eines Films oder einer Serie bei der Bedeutungsfindung unbekannter Begriffe ungemein helfen.
Lesen und Schreiben
Wie oben bereits beschrieben, muss ich Wörter vor mir sehen, ihre einzelnen Buchstaben aneinandergereiht. Allgemein auch als Lesen bekannt. Das Lesen von Artikeln und Büchern ist eine ganz wunderbare Art und Weise seinen Wortschatz zu erweitern. Man begibt sich auf eine Reise durch neue Bedeutungsfelder und elegante Formulierungen. Eines setzt diese Methode allerdings voraus: Schreiben. Alles Lesen nützt nichts, wenn man die fehlenden Vokabeln nicht nachschlägt und schriftlich festhält. Am Ende steht also auch das Wort – und zwar die herausgeschriebene Vokabel. Es ist übrigens wissenschaftlich erwiesen, dass durch die Bewegung der Hand, die beim Schreiben ausgeführt wird, im Gehirn die Gedächtnisleistung verbessert und Gelerntes schneller verarbeitet wird.
Sie sehen, ein bisschen Fleiß muss sein. Ich zumindest habe mir wieder ein Vokabelheft angeschafft, in dem ich sofort jedes unbekannte Wort notiere. Zugegeben bisher hindert mich meine Faulheit noch daran, die Ergebnisse regelmäßig aufzuarbeiten weswegen ich letztendlich doch wieder auf eine spaßigere Methode zurückgreife:
Sprache leben.
Die unvergesslichsten Vokabeln sind die, zu denen man gute Geschichten erzählen kann. Wissen Sie zum Beispiel was pipistrello bedeutet? Fledermaus. Woher ich das weiß? Meine Schulfreundin erzählte eines Morgens ganz begeistert, dass sie nun Harry Potter auf Italienisch lese und das Wort pipistrello sich dabei in ihr Hirn gebrannt habe. Ich glaube wegen der Ähnlichkeit zu Pipi und strullen. Ich jedenfalls habe das Wort seitdem nicht mehr vergessen. Ebenso den italienischen Waschbrettbauch – la tartaruga. Meine Mitbewohnerin in Italien redete gern über Jungs und ihre Waschbrettbäuche, als sie dann allerdings eines Tages auf meine Stoffschildkröte zeigte und selbige tartaruga nannte, war das Gelächter groß. Und ich habe gelernt, dass Deutsche Bäuche wie Waschbretter und Italiener Bäuche wie Schildkrötenpanzer haben.
Für mich ein weiteres unvergessliches Wort ist tamponare. Aufgrund des Wortstammes assoziiere ich den Gebrauch eines Hygieneartikels mit dem Wort abdichten und finde das im übertragenen Sinne ehrlich gesagt ziemlich witzig.
Daher mein Vorschlag an Sie: Leben wir gemeinsam Sprache. Was sind Ihre unvergesslichen Vokabeln und wie lauten die Geschichten dahinter? Teilen wir miteinander Erlebnisse und Erinnerungen und lernen so gemeinsam neue Vokabeln.
Ja klar, das ist schon ein bisschen faul – aber vor allem: schlau.